Stiftungen und Stifter machen sich aufgrund der vielen Krisen seit der Finanzkrise, und nun aktuell durch die geopolitischen Verwerfungen, Gedanken, wie sie das Stiftungskapital bei den sich stark verändernden Rahmenbedingungen investieren müssen, um den durch das Stiftungsrecht vorgegebenen Spagat zu bewältigen, das Stiftungskapital sicher und ertragreich anzulegen. Durch den Ukrainekrieg wird die bisherige Weltwirtschaftsordnung, die durch globale Arbeitsteilung gegenseitiges Vertrauen schaffen und für Frieden sorgen soll, nunmehr in Frage gestellt. Somit müssen Stiftungen bei der Betrachtung der Rahmenbedingungen für die Kapitalanlage nicht nur die Geldpolitik, die weltweite Wirtschaftsentwicklung und auch die Veränderungen durch exogene Schocks und Klimawandel einbeziehen, sondern nun auch den sich verändernden Rahmen der globalen Wirtschaftsordnung und die Geopolitik berücksichtigen.
Prof. Dr. Michael Berlemann
© HWWI
Aus diesem Grund haben wir Herrn Prof. Dr. Michael Berlemann, wissenschaftlicher Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), einen der renommiertesten Wirtschaftsexperten Deutschlands für Politische Ökonomik & Empirische Wirtschaftsforschung zu diesen Themen befragt, der auch die wirtschaftlichen Veränderungen durch den Klimawandel im Fokus hat.
Ist mit dem Krieg in der Ukraine das Konzept „Wandel durch Handel“ gescheitert oder wird nach einer temporären Delle die Globalisierung wieder weitergehen?
Im Falle Russlands ist das Konzept tatsächlich auf ganzer Linie gescheitert. Wir sollten uns also weniger Illusionen hingeben, dass wir mit intensiverem internationalem Handel andere Länder politisch verändern können. Das heisst aber nicht, dass der internationale Handel deswegen eingestellt werden sollte. Er bringt ja den meisten der beteiligten Länder großen Wohlstand. Agressoren wie Russland im Falle eines Überfalls auf ein anderes Land erst einmal vom Handel auszuschließen ist natürlich ein gerechtfertigter Sonderfall der Handelsdisintegration.
Welche Langfristauswirkungen wird die geopolitische Veränderung durch den Ukrainekrieg auf die weltwirtschaftliche Zusammenarbeit haben?
Das ist derzeit nur schwer abzuschätzen und hängt sicherlich auch maßgeblich davon ab, wann und mit welcher Lösung der Angriffskrieg Russlands enden wird. Was man aber sicher ausschließen kann ist, dass es schnell zu einem „Business as Usual“, d.h. einer Rückkehr zu der Situation vor dem Krieg kommt.
Gibt es künftig zwei Weltwirtschaftsordnungen: Eine mit Ländern, die ein demokratisches Grundverständnis haben (nach dem Verständnis von Janet Yellens „Friendshoring“*) und eine in Ländern, die ein zentralistisch bestimmtes Wertekonzept verfolgen? Ist dieser Prozess der Bipolarisierung schon im Gange und sortieren sich manche Länder schon ein, wenn man die Teilnehmer der unterschiedlichen Staats- und Wirtschaftsgipfel ansieht?
Ich hoffe und glaube auch nicht, dass uns das in diesem Extrem bevorsteht. Letztlich streben die meisten Menschen nach einem gewissen Wohlstand, der auch dadurch entsteht, dass sich jeder auf die Herstellung von Gütern konzentriert, die er besonders gut oder kostengünstig herstellen kann und die dann gegen andere Güter, die ebenfalls benötigt werden, tauscht. Auf den Tausch von Gütern mit einem großen Teil der Welt zu verzichten, wäre töricht, und das ist den meisten Staatschefs auch klar, unabhängig von der politischen Gesinnung. Aber leider gilt das nicht für alle und leider verfolgen auch nicht alle Staatschefs das Ziel der Maximierung des Gemeinwohls ihrer Bürger. Das können aber in der Regel nur die Bürger selbst wirklich verändern. Ist der Wohlstand dauerhaft sehr gering, so besteht für den Herrscher ja stets zumindest die Gefahr des Massenprotests.
Welche Vorteile und Nachteile hätten eine längerfristige Bipolarisierung der Weltwirtschaftsordnung für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Für ein im Außenhandel so starkes Land wie Deutschland wäre eine solche bipolare Welt wirtschaftlich ohne Zweifel eine deutliche Verschlechterung. Sie ginge mit massiven Wohlfahrtsverlusten einher.
China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner seit 6 Jahren und das Handelsvolumen von Deutschland mit China ist rund viermal so groß, wie das mit Russland. Wären die wirtschaftlichen Auswirkungen von internationalen Sanktionen gegen China, im Falle einer Eingliederung Taiwans, dann ebenfalls viermal so groß, wie die jetzigen Auswirkungen, die die deutsche Volkswirtschaft aufgrund der Sanktionen gegen Russland erlebt?
Was würde das für die Entwicklung des BIPs in Deutschland bedeuten?
Der Wegfall von Russland als Zielmarkt ist für Deutschland insgesamt gut verkraftbar, wenn das auch sicher nicht für jedes einzelne Unternehmen in Deutschland gilt. Problematisch ist hingegen unsere Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus Russland. Wie wir gerade schmerzhaft erfahren, verkraften wir die im Moment nur schwer. Der Fall Chinas ist mit dem Russlands kaum vergleichbar. Wir importieren massiv aus China und China ist auch ein immens wichtiger Absatzmarkt für deutsche Unternehmen. Würde die westliche Welt die gleichen Sanktionen gegen China verhängen wie die gegen Russland, so würde das Welthandelssystem komplett aus den Fugen geraten. Die Folgen wären für den Westen immens, für China allerdings auch. Seriös quantifizieren lässt sich das allerdings kaum.
Eine Rückführung des absoluten Schuldenbetrags wäre durch Ausgabenkürzung oder durch Steuererhöhungen möglich. Welche der beiden Möglichkeiten hätte größere Auswirkungen für die künftige Entwicklung des Wirtschaftswachstums in Deutschland?
Das lässt sich allgemein kaum beantworten. Es sind ja nicht alle Ausgaben gleich sinnvoll. Die Benzinpreisbremse z.B. bewerten fast alle Ökonomen als unsinnig, diese Ausgaben hätten wir uns besser gespart, egal ob sie mit Hilfe von Steuern oder Schulden finanziert werden. Zu einem anderen Ergebnis kommt man hingegen sicherlich bei vielen staatlichen Investitionen in die Infrastruktur, die Wachstum begünstigen können und durchaus sinnvoll über Schulden finanziert werden können. Sie spenden ja auch langfristigen Nutzen. Und auch Steuererhöhungen kann man nicht generell über einen Kamm scheren. Erzeugt eine Steuer keine Verhaltensreaktionen, so ist sie tendenziell allokativ unschädlich. Leider gilt das aber für kaum eine Steuer, so dass in jedem Einzelfall geprüft werden muss, welche Konsequenzen sich ergeben. Letztendlich kommt es auf ein gutes Gesamtkonzept an: sinnvolle Ausgaben mit einem adäquaten Finanzierungsmix.
Deutschland war einer der Profiteure der Globalisierung und der weltweiten Arbeitsteilung, so dass durch die niedrigeren Arbeitslöhne im Ausland die Produkte deutscher Unternehmen wettbewerbsfähig waren. Covid-19 und der Ukrainekrieg hat vor Augen geführt, dass weltweite Arbeitsteilung zu starken Abhängigkeiten führt. Ist eine (Teil-)Rückführung von Produktionsstätten nach Deutschland (oder Europa) überhaupt zeitnah möglich und hätte die Rückverlagerung eher Auswirkungen auf die Inflationsrate oder auf die Gewinnmargen der Unternehmen?
Die Vorteile der Globalisierung sind ohne gewisse Abhängigkeiten von Zulieferern und Kunden im Ausland nun mal nicht zu haben. Würden wir alles in Deutschland selbst machen wollen, würden wir ins wirtschaftliche Mittelalter zurückfallen. Das ist keine sinnvolle Option. Globalisierung an sich und die sich daraus ergebenden Abhängigkeiten sind aus meiner Sicht auch nicht das eigentliche Problem. Riskant ist es vor allem, wenn man auf der Import- oder der Exportseite zu stark von einzelnen Zulieferern abhängt und keine Substitutionsmöglichkeiten hat. Wir müssen auch im Handel stärker in Portfolios denken und nicht immer alle Rohstoffe nur dort kaufen, wo sie am günstigsten sind und alles dorthin liefern, wo gerade am besten gezahlt wird. Wir müssen auf beiden Seiten stärker diversifizieren. Dann lässt sich mit Länderrisken auch umgehen.
Durch die Einschränkungen des bisherigen Handels sind bereits die Handelskosten in Deutschland gestiegen. Wäre die Höhe der Kosten einer Rückverlagerung von Produktionsstätten nach Deutschland vergleichbar mit denen, die sich bisher aus den Einschränkungen des Handels mit einigen Ländern ergeben?
Rückverlagerungen von Produktionsstätten sind nur im Ausnahmefall eine sinnvolle Lösung. Es ist sicher gut, wenn wir ein paar elementare Güter in einer gewissen Menge auch in Deutschland herstellen können, wie z.B. Atemschutzmasken und die wichtigsten Medikamente. Aber wie schon zuvor ausgeführt, halte ich es für eine schlechte Idee, dass sich jetzt jedes Land in die Autarkie zurückzieht. Die Kosten einer solchen Strategie wären untragbar hoch.
Durch Covid-19 und den Ukrainekrieg traten die Pariser Klimaziele 2030 in den Hintergrund. Um die Klimaziele zu erreichen, sind in Europa jährliche Investitionen von € 180-260 Mrd. zum Umbau der Wirtschaft nötig, was aber nicht allein durch Staatsbudgets geschultert werden kann. Mit Einführung der EU-Taxonomie zum 1.1.2022 sollen private Investitionen in Tätigkeiten gelenkt werden, die notwendig sind, um Klimaneutralität zu erreichen. Dieses Regelwerk definiert nicht nur Kriterien und Messgrößen der Nachhaltigkeit, sondern stellt auch konkrete Anforderungen an Unternehmen, Banken und deren Kapitalmarktprodukte, die offenlegen müssen, in welchem Ausmaß ihre Wirtschaftsaktivität auf Grundlage der Taxonomie-Verordnung Nachhaltigkeit berücksichtigt oder beinhaltet. Investoren, die bereits in den letzten Jahren bewußt in Unternehmen mit nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten, insbesondere nachhaltiger Energieerzeugung, investiert haben und diese sich jetzt durch besondere Gewinne auszahlen, dürften sich bei einer staatlichen Abschöpfung der Übergewinne bestraft sehen.
Welche Auswirkungen hätte eine EU-weite Übergewinnsteuer auf die Erreichung der Pariser Klimaziele?
Welche Folgen wären bei einer Einführung einer Übergewinnsteuer für die nachhaltige Energieerzeugung in Deutschland und somit für die Zukunftsfähigkeit der Deutschen Wirtschaft zu erwarten?
Von der Idee der Übergewinnsteuer halte ich gar nichts. Die Idee scheitert schon daran, dass gar nicht gerichtsfest definiert werden kann, was denn ein Übergewinn genau sein soll. Gewinne werden bereits besteuert und das ist auch im Sinne des Leistungsfähigkeitsprinzips gut so. Ich kann nur empfehlen, die Finger von dem Versuch der Einführung von Übergewinnsteuern zu lassen.
Kapitalanlegern wird bei der Geldanlage geraten, Risiken zu diversifizieren. Die Volkswirtschaft Deutschlands ist seit einigen Jahren mit den Auswirkungen von Klumpenrisiken konfrontiert. (z.B. bei Impfgrundstoffen und Masken aus Asien, der Energieversorgung aus Russland, die Abhängigkeit der Automobilindustrie von einzelnen Zulieferern). Welche Klumpenrisiken gibt es noch, die noch nicht sichtbar geworden sind?
Hier sind sicherlich Klima- und Naturkatastrophenrisiken zu nennen. Mit der globalen Erwärmung nimmt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von verschiedenen Extremwetterereignissen wie Dürren und Überschwemmungen stark zu. Leider auch in Deutschland.
Gemeinnützige Stiftungen sind dauerhafte Investoren, da sie ihr Stiftungskapital nicht verbrauchen dürfen. Damit eine Stiftung auf Ewigkeit besteht, muss sie ihr Stiftungskapital** im Wert erhalten, in Bayern gilt der reale Kapitalerhalt. Letztendlich geht es darum auf Dauer die Leistungsfähigkeit der Stiftungen für das Wohl der Allgemeinheit zu erhalten, denn aus den Erträgen werden wichtige Belange der Gesellschaft finanziert. Stiftungen sind schwerpunktmäßig in Gläubigerwerten (Anleihen), Produktivkapital (Aktien) und Sachwerten (Immobilien) investiert. Was dürfte Ihrer Ansicht nach in den nächsten 10 Jahren den realen Kapitalerhalt am stärksten bedrohen:
a) Kaufkraftverlust (Inflation)
b) Folgen der Deglobalisierung und des Klimawandels
c) Platzen einer Immobilienblase?
Inflation ist hier sicher das geringste Risiko. Sollte es tatsächlich zu einer massiven Deglobalisierung kommen, dann würde sich dies sicher stark negativ auf Anleihen und Aktien auswirken. Das halte ich aber für kein sehr wahrscheinliches Szenario. Der Klimawandel ist zwar langfristig unser größtes Problem, wird aber nach meiner Einschätzung in den nächsten 10 Jahren noch keine großen Risiken für Stiftungsvermögen mit sich bringen. Das größte Risiko sehe ich tatsächlich im Bereich von Immobilien. Die weltweite Niedrigzinspolitik hat zwar lange zu wenig Konsumentenpreisinflation, sehr wohl aber zu Vermögenspreisinflation geführt. Mit den steigenden Zinsen nimmt das Risiko fallender Immobilien- und Aktienpreise deutlich zu.
*Janet Yellen: „Wir können es nicht zulassen, dass Länder aufgrund ihrer Marktposition bei entscheidenden Rohstoffen, Technologien oder Produkten die Macht haben, unsere Wirtschaft zu stören.“ Sie schlug vor, die Lieferketten auf die Länder zu konzentrieren, „auf die wir zählen können“, um die Risiken für die amerikanische Wirtschaft zu senken.
**Geschätztes Stiftungsvermögen aller Stiftungen in Deutschland rund € 100 Mrd.
Das Interview wurde 2022 geführt.