Prof. Raffelhüschen ist Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft
© Bernd Raffelhueschen
Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen ist Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Neben seiner Mitwirkung an internationalen Forschungsprojekten beteiligt er sich – zum Beispiel als Mitglied der Rürup-Kommission, der Kommission Steuergesetzbuch oder als Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft – an Fragen der praktischen Sozialpolitik. Wir haben ihn gefragt, wie Kinder den Umgang mit Geld lernen können und was er sowohl Privatanlegern als auch Stiftungen im derzeitigen Anlageumfeld rät.
Prof. Raffelhüschen, das Thema Geld wird in vielen Familie nicht besprochen. Wie war das in Ihrer Kindheit?
Ich habe schon als Kind gelernt, von meinem Großvater und auch von meiner Mutter: Lege nie alle Eier in einen Korb, sondern verteile die Eier die du sparst auf verschiedene Körbe. Und mach das nicht auf einen Schlag, sondern Stück für Stück, also ratierlich. Und wer ratierlich und diversifiziert spart, der hat auch im heutigen Niedrigzinsumfeld überhaupt kein Problem. Denn die Niedrigzinsphase gibt es ja eigentlich gar nicht.
Aber Geld wirklich wertstabil anzulegen, ob für die eigene Altersanlage oder für eine Stiftung, ist kompliziert – was würden Sie raten?
Ich sehe mich selbst nicht als Kapitalexperten, eher als das genaue Gegenteil: Nach 30 Jahren Beschäftigung mit Ökonomie weiß ich, dass ich nichts weiß. Denn die langfristige Kapitalanlage ist eine Anlage unter völliger Unsicherheit. Und wenn ich langfristig weiß, dass ich Unsicherheit habe, und ich habe keine Verteilungsfunktion, die ich statistisch in den Griff bekommen kann, dann hängt der Erfolg meiner Anlage letztlich vom Zufall ab.
Und warum tun sich Stiftungen so schwer, in diesem Niedrigzinsumfeld ihr Kapital ertragreich anzulegen?
Unser Großvater sagte immer, wenn wir eine Mark haben, sollen wir einen Groschen zurücklegen. Und von dem Groschen soll ein Drittel mündelsicher, also in Anleihen, ein Drittel in Haus und Hof, also in Immobilien, und ein Drittel in „Tüdelüd“, wie es unser Großvater genannt hat, also breit gestreut zum Beispiel in Aktien und Unternehmensanteilen angelegt werden. Das war die Quintessenz dessen, was wir in der Familie gelernt haben. Verteile deine Eier auf verschiedene Körbe, mach es gleichmäßig, mach es ratierlich. Wenn Du das tust, hast Du kein Problem mit dem Niedrigzins. Weil eines ist klar: Die Rendite; die ich heute auf Staatsschuldpapiere und Anleihen habe, die ist null. 1992 war sie acht Prozent. Wie sie in Zukunft sein wird, wissen wir nicht. Und kein Mensch der Welt wird ihnen erzählen können, wie es sich entwickeln wird. Viele versuchen das zwar, aber keiner weiß es.
In welchem Alter kann man damit anfangen, mit Kindern über Geld zu sprechen?
Ich glaube, man fängt am besten damit an, wenn es um das erste Taschengeld geht. Dann kann man gleich erklären, dass man immer etwas sparen sollte, egal ob man glaubt zu viel oder zu wenig zu haben. Nur, wenn die Eltern schon nicht mal wissen wie man das macht, werden sie es kaum den Kindern erklären können. Auch Eltern müssen sich also mit diesem Thema beschäftigen. Und da haben wir in Deutschland glaube ich ein bisschen Nachholbedarf.
Scheinbar befolgen ja viele deutsche Anleger nicht den Rat Ihres Großvaters. Man weiß, dass nur 10% der Deutschen Aktien besitzen.
Nicht nur die deutschen Privatanleger, auch die Stiftungen hierzulande haben ja massiv ihr Kapital in Anleihen investiert. Auch die Menschen in den Beaufsichtigungsorganen haben uns quasi dazu gezwungen, (bei Lebensversicherungen) massiv in Staatsanleihen zu investieren. Und die meisten dachten immer, das sind sichere Anlagen. Sicher sind sie auch immer noch, aber mittlerweile halt unverzinst. Und das Problem mit Zinseszinsen ist halt, dass ein Zins von Null keinen besonders auskömmlichen Zinseszins zu Stande bringt.
Kann das Thema Geld Kinder auch überfordern?
Nein, alles was komplex ist, kann man weniger komplex erklären - wenn man es selber verstanden hat. Mein Großvater konnte nicht mal richtig Hochdeutsch, und trotzdem konnte er das Thema einfach erklären.
Wie können Kinder den Sinn des Sparens lernen? Früher hat man ja den Zins auf dem Sparbuch gesehen. Wo ist jetzt die Belohnung für Kinder?
Der Zins ist nicht Null – nur auf Staatspapiere und anleiheförmige Produkte ist er das. Aber nicht auf Mietzinsen aus Immobilieninvestitionen, oder Dividendenerträge aus Aktien. Der Zins ist im Durchschnitt, über die letzten 20, 30 Jahre, bei lockeren 5-6%. Selbst wenn ich die Inflationsrate abziehe, habe ich einen Realzins von 4%. Wir haben kein Niedrigzinsumfeld, wenn sie auf das reale Ertragsumfeld blicken. Wir haben den niedrigsten Zins auf Staatsanleihen, den wir jemals hatten, bei gleichzeitig sehr hoher realer Rendite auf Realkapital. Und das muss man den Kindern erklären, denn es führt eben weg vom Sparbuch.
Wenn die Kinder es nicht im Elternhaus lernen – lernen sie denn in der Schule genügend über die Wirtschaft?
Die ökonomische Lehre in der Schule ist praktisch gleich null. Bei vielen Lehrern in Deutschland ist der Begriff Geld im Zusammenhang mit der Geldanlage negativ besetzt. Und der Erwerb von Aktien wird häufig mit Spekulation in Verbindung gebracht. Und das ist natürlich so dumm, wie es nur irgendwie geht. Denn wenn ich spekuliere, bin ich mit Sicherheit nicht jemand der Aktien kauft. Spekulanten haben keine Aktien, sie handeln mit Optionen auf Aktien. Aktien haben die Anleger, die in solider Art und Weise investieren. Aber das wird in Deutschland einfach links-schief betrachtet.
Ich merke das immer wieder, wenn ich nach Norwegen blicke, wo ich viele Jahre meines Lebens verbracht habe. Dort gibt es einen Generationenfonds, und dieser Generationenfonds hat die größte Kapitaldeckung eines Altersvorsorgesystems aller Zeiten, auf der ganzen Welt hervorgebracht. Und diese Generationenfondslösung ist letztlich die Verkörperung dessen, was meine Familie mir immer gesagt hat: ein bisschen von dies, ein bisschen von das. Norwegen hat das Kapital aus ihrem Öl auf der ganzen Welt angelegt, immer in kleinen Teilen und in verschiedenen Aktien und anderen Klassen.
Wäre diese Investition in Aktien etwas, das wir alle, Stiftung wie Privatanleger, von Norwegen lernen könnten?
Natürlich muss auch in Infrastruktur investiert werden, in Immobilien und in Anleihen. Denn in schlechten Zeiten kriegen sie das Geld aus Immobilien oder Aktien nicht heraus, und trotzdem brauchen sie Liquidität. Wer alles auf Aktien setzt, hat die Geschichte mit den Eiern und dem Korb auch nicht verstanden. Norwegen hat hier ja keine neue Regel entdeckt.
Müssen Stiftungen das noch lernen?
Sie müssen vor allem lernen, dass sie in der Zukunft anders investieren müssen als in der Vergangenheit. Sie dürfen das Ruder aber auch nicht zu schnell herumreißen, sondern müssen jetzt ratierlich in allen Körben unterwegs sein. Anders geht es nicht.
Wenn wir das jetzt zusammennehmen, junge Menschen wie kleine Stiftungen: In welche Assetklassen sollten sie denn jetzt umsteuern?
Vor 30 Jahren hätte ich gesagt was meine Familie mir gesagt hat. Und wenn man das damals gemacht hätte, dann hätte man auf die Aktien alleine eine durchschnittliche Ertragssteigerung von 7-8% gehabt, bei den Immobilien eine durchschnittliche Steigerung über den Anschaffungswert von 4-5% und sie hätten kein Problem, Erträge zu erwirtschaften. Was die Zukunft angeht: Ich habe keine Ahnung, und jeder der mich fragt, dem sage ich das. Ich weiß nur eines: Ich mache alles nach Zufallsmechanismen.
Selbstgenutzte Immobilien sind natürlich wichtig als Altersvorsorge, da interessiert mich auch weniger die Wertentwicklung, denn da bin ich zuhause und der Nutzwert ist unabhängig vom Marktwert. Aktien sind unbeständig und ich kann voll daneben greifen – wenn ich zum Beispiel breit gestreut Aktien angelegt hätte, hätte ich wahrscheinlich auch Aktien von Wirecard gekauft – ich kann es also gar nicht vermeiden, dass ein Teil meines Geldes auch mal weg ist.
Und da haben natürlich beaufsichtigte Stiftungen ein Problem. Wenn ich meiner Aufsicht sage „Ich habe da mal fehlinvestiert und Geld verloren“, dann ist die Aufsicht natürlich nicht erfreut. Wenn ich das als Lebensversicherer gemacht hätte, hätte ich nicht nur ein Problem mit der Aufsicht, sondern ich hätte die BaFin am Hals die mir sagt, ich hätte Staatspapiere kaufen müssen und gar nicht so viele unsichere Anlagen tätigen dürfen.
Je nachdem wie stark ich reguliert bin, bin ich natürlich durchseucht mit Staatspapieren. Das ist halt so, der Staat muss sich halt seine Nachfrage selbst schaffen. Welcher vernünftige Mensch würde denn auf die Idee kommen, eine Bundesobligation zu kaufen, wenn man dafür keine Zinsen erhält?
Für viele Menschen ist es schwierig, mit Sparen und Investieren zu beginnen – was können wir zum Beispiel für Kinder aus sozial schwachen Familien tun, damit sie anfangen können zu sparen?
Das betrifft alle sozialen Schichten, die Einkommensschwachen wie die Reichen. Deswegen ist mein Rat an alle gleich: das Geld das man hat, sollte man nie zu 100% ausgeben. Einen Teil davon zurück zu legen ist clever. Wenn man das nicht tut, hat man ein Problem, egal in welcher Einkommensschicht man ist. Und der Anteil derer, die 10% ihres verfügbaren Einkommens sparen oder es nicht tun, ist in allen Einkommensschichten nahezu gleich. Das ist eine allgemeine Haltung in Deutschland, egal ob reich oder arm, Mann oder Frau, Nord oder Süd.
Wenn wir alle zu wenig über Wirtschaft wissen und verstehen, und zu wenig über Geld sprechen: Was sind die Risiken für unsere Gesellschaft?
Das größte Risiko ist das Akzeptanzproblem. Breite Teile unserer Bevölkerung haben ein Akzeptanzproblem mit der sozialen Marktwirtschaft, setzen eher auf den Staat als Korrektiv. Wir haben in Deutschland ein strukturelles Problem, dessen wir uns bewusst werden müssen: Die soziale Marktwirtschaft und das ökonomische Konzept das dahinter steckt, welches in Freiburg von meinen Vorgängern entwickelt worden ist, und alles was daran hängt – die Eigentumsrechte, die Verfügungsrechte, die Ersparnisse – das hat uns zum reichsten Deutschland aller Zeiten gemacht.
Die Darstellungen und Aussagen des Interviewpartners stellen nicht die offiziellen Standpunkte der SOS-Kinderdorf-Stiftung dar.
Das Interview wurde 2020 geführt.