© Klaus Kaldemorgen
Interview mit Klaus Kaldemorgen, Mitglied der Geschäftsführung der DWS Holding & Service GmbH
Die EZB jongliert mit immer größeren Beträgen. Wird das Eingreifen der Notenbanken zur Bewältigung der Finanz- und Staatsschuldenkrisen Erfolg haben?
Durch das Eingreifen der EZB sind die Zinsunterschiede der verschiedenen europäischen Staatsanleihen wieder deutlich kleiner geworden. Auch sind mit der Ausnahme von Griechenland und Zypern wieder alle Staaten der Eurozone kapitalmarktfähig. Die Refinanzierungssituation der europäischen Banken hat sich seit der Finanzmarktkrise durch die Maßnahmen der EZB deutlich verbessert. Der EZB ist insofern bei der Bewältigung der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise in Europa Erfolg zu bescheinigen, als ihre Maßnahmen zur Beruhigung der Kapitalmärkte geführt haben.
Haben die Notenbanken die Bewältigung der Schuldenkrise im Griff oder schaden die Maßnahmen mehr als sie nützen?
Die Notenbanken haben durch ihre Maßnahmen die Schuldenkrise in den Griff bekommen. Sie haben die Märkte mit Liquidität geflutet und die Zinsen weitgehend abgeschafft. Damit haben sie die Kapitalmärkte mit eben jenem Rohstoff versorgt, den diese am dringendsten gebraucht haben. Die typischerweise mit einem solchen Vorgehen verbundene inflationäre Entwicklung ist nicht eingetreten, vielmehr wird in vielen Volkswirtschaften schon das Gespenst einer deflationären Entwicklung an die Wand gemalt.
Mangelnde Reformen in den europäischen Staaten waren der Grund, warum die EZB den Regierungen „Zeit“ gekauft hat. Wenn Sie die geringe Reformbereitschaft in Italien und Frankreich betrachten, war dann der Einsatz der EZB bisher umsonst?
Die EZB kann der Politik in der Tat Zeit kaufen, aber keine Reformen erzwingen. Dies erklärt das starke Auseinanderdriften von Kapitalmärkten und Realwirtschaft. Während sich z.B. die Aktienmärkte seit dem Eingreifen der EZB sehr positiv entwickelt haben, verläuft das Wirtschaftswachstum aufgrund mangelnder Reformen nur sehr schleppend.
Erwarten Sie weitere Alleingänge von Mario Draghi, wie auf der Notenbankkonferenz in Jackson Hole am 22.08.2014, oder werden die entmachteten Notenbanken bald den Aufstand proben?
Die Maßnahmen der EZB werden durch Mehrheitsbeschluss der Ratsmitglieder getroffen, insofern kann nicht von einem Alleingang Draghis gesprochen werden. Erklärtes Ziel der EZB ist es, die Bilanzsumme kräftig auszuweiten und zumindest auf den Stand von Mitte 2012 zu steigern, um eine wahrgenommene deflationäre Entwicklung zu bekämpfen. Dies wird durch die jüngst beschlossenen Maßnahmen kaum möglich sein, sodass mit einer quantitativen Lockerung amerikanischer Prägung zu rechnen ist. Dies bedeutet den verstärkten Ankauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank.
Warum hält sich die Bundesregierung so auffällig zurück und unterstützt Jens Weidmann, den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, nicht in seiner konservativen Haltung?
Die Bundesregierung wird von den europäischen Nachbarn zunehmend für ihren Kurs der Haushaltskonsolidierung kritisiert. Würde zusätzlich eine restriktive Geldpolitik der EZB unterstützt, so würde Deutschland in der Eurozone eine Isolierung drohen.
Kann mit den geplanten ABS-Käufen der EZB das gleiche passieren, wie in den USA, sodass es ein Anreiz zum Moral Hazard ist? Denn hier wurden ja auch staatlich gewünschte Kredite vergeben, die die Banken aufgrund der schlechten Bonität der Schuldner eigentlich nicht vergeben wollten und deshalb die Kredite gleich weiterverkauft haben.
Es gibt in Europa zurzeit keine Anzeichen für eine Kreditblase. Eher macht der EZB Sorge, dass die Banken zu wenig Kredite vergeben. Durch das ABS-Kaufprogramm werden die Bilanzen der Geschäftsbanken entlastet, sodass diese höhere Kapazitäten für die Kreditvergabe haben.
Werden wir eine Lockerung der Basel III Richtlinien zusammen mit einer Lockerung der Eigenkapital-Quoten der Banken sehen, wenn die ABS-Käufe immer noch nicht zur Kreditvergabe und somit zur Ankurbelung der Wirtschaft führen?
Die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der Geschäftsbanken, also die Erhöhung des Kernkapitals, war eine zentrale politische Vorgabe, um Banken widerstandsfähiger gegen Finanzkrisen zu machen. Eine Lockerung kommt deshalb nicht in Betracht. Eher ist mit einer weiteren Verschärfung zum Beispiel bei der Vorgabe für die „Leverage Ratio“ zu rechnen.
Was bedeutet der EZB-Kurs für die Anleger?
Eine weiterhin lockere Geldpolitik ist vorteilhaft für jene Anleger, die bereit sind, ins Risiko zu gehen und beispielsweise in Aktien investieren. Es ist eine eher schlechte Nachricht für Anleger, die Sparguthaben, Festgeld oder festverzinsliche Wertpapiere präferieren.
Können Sie sich vorstellen, dass wir – Privatanleger wie institutionelle Anleger – bald negative Zinsen bei der Kontogeldanlage sehen, wir also noch Geld mitbringen müssen, wenn wir bei Banken anlegen wollen?
Die ersten Banken sind bereits vorgeprescht und berechnen negative Zinsen, besonders für große Einlagen. Die meisten Banken betonen aber, dass dies für die Einlagen der meisten Sparer nicht zur Anwendung kommt.
Wenn ja, was wird dann passieren? Heben die Leute dann das Geld ab?
Sollten negative Zinsen auch den Durchschnittssparer treffen, wird dies vor allem die Notwendigkeit zur finanziellen Vorsorge konterkarieren.
Können Rentenfonds bei diesen Niedrigstzinsen überhaupt existieren? Taugen sie überhaupt noch als Anlagevehikel für Stiftungen? Ist eine Bereinigung am Markt zu erwarten?
Für Rentenfonds wird die Luft tatsächlich dünner. Vor allem für jene Fonds, die in kurzlaufende Anleihen und Staatspapiere bester Bonität investieren. Oft wird es schwierig mit den Zinserträgen die Kosten der Fondsverwaltung zu decken. Stiftungen sind aber darauf angewiesen, ihr Kapital in risikoarme Kapitalanlagen zu investieren, um den Kapitalerhalt sicherzustellen. Ein Ausweichen auf höher rentierliche Anlagen wie Unternehmensanleihen, Anleihen in Fremdwährungen oder in Schwellenländern bieten sich als Lösung an.
Was bedeuten Negativzinsen tatsächlich für die Realwirtschaft – kurbelt das die Wirtschaft wie geplant an oder wird das auch negative Effekte haben?
In der Theorie sind Investitionen abhängig vom Zins. Je niedriger dieser ist, umso mehr sollten Unternehmen bereit sein, zu investieren. Trotz des Niedrigzinsumfeldes sieht man aber in den USA und Europa einen Rückgang der Investitionen in Prozent vom Bruttosozialprodukt. Die Liquidität der Unternehmen wird stattdessen zunehmend für Aktienrückkäufe und Übernahmen genutzt. Die Niedrigzinsen nutzen dem Kapitalmarkt und weniger der Realwirtschaft.
Was bedeuten Negativzinsen für Ihre täglichen Anlageentscheidungen / Prognosen?
Die Anlageentscheidungen werden nicht so sehr von möglichen Negativzinsen bei der Liquidität beeinflusst, als vielmehr vom allgemeinen Niedrigzinsumfeld. Strukturell erscheinen Unternehmen mit einer gesicherten oder wachsenden Dividende interessanter als Anleihen. Allerdings wird es Phasen an den Aktienmärkten geben, die eine Erhöhung der taktischen Liquidität erforderlich machen. Sollten die kurzfristigen Ertragserwartungen am Aktienmarkt einmal negativ werden, so ist ein Negativzins für Liquidität immer noch besser als eventuelle Verluste bei Aktienengagements. Liquidität dient immer auch als Risikopuffer unabhängig von der Verzinsung.
Folgt Europa in der Wirtschaftsentwicklung, Deflation und Staatsverschuldung Japan?
Der große Unterschied zwischen Japan und Europa liegt vor allem in den demografischen Unterschieden. Japans Bevölkerungsstruktur weist ein deutlich höheres Alter auf als Europas. Japans restriktive Einwanderungspolitik verstärkt diesen Effekt noch und lässt die Bevölkerung insgesamt schrumpfen. Die extrem hohe Staatsverschuldung mit über 200% vom Bruttosozialprodukt verbunden mit den demografischen Problemen wird das Wirtschaftswachstum weiter bremsen und reduziert das Potential einer Wirtschaftsbelebung.
Die Amerikaner haben auch eine hohe Staatsverschuldung, aber QE (= Quantitave Easing) wirkt, die Wirtschaft wächst wieder. Was machen die Amerikaner besser als Europa?
Die USA verfolgen neben einer expansiven Geldpolitik vor allem eine wachstumsfreundliche Wirtschaftspolitik, die innovationsgetrieben ist. Der Technologie-, der Pharma- und vor allen Dingen der Energiesektor gehören zu den großen Wachstumstreibern in den USA. Gerade die unkonventionelle Förderung von Öl und Gas (Fracking) hat die USA auch durch die dadurch angestoßenen Investitionen auf einen neuen Wachstumspfad geführt. Mittlerweile sind die Energiepreise in den USA deutlich niedriger als in Europa und Asien. Dies führt zu einer stärkeren Ansiedlung von Unternehmen im industriellen Sektor (Chemie), da die Produktionskosten extrem wettbewerbsfähig sind. Die wachsende Bevölkerung der USA durch Einwanderung verstärkt den Wachstumstrend zusätzlich.
Auch bei Ländern ohne Euro wachsen die Sorge und der Unmut über die Notenbankpolitik, wie in der Schweiz. Dort gibt es Ende November ein Volksbegehren, dass der Schweizer Franken wieder zu 20% goldgedeckt sein soll. Würde eine Entscheidung für eine höhere Golddeckung des Schweizer Frankens zu einer Abkoppelung der Schweizer Währung von dem Euro führen und welche Konsequenzen hätte das für Anlagen in der Schweiz?
Insgesamt macht eine feste Vorgabe bei der Golddeckung der Zentralbankreserven die Notenbankpolitik unflexibel. Die bisherige Koppelung des Schweizer Franken an den Euro könnte dadurch hinfällig werden. Eine Aufwertung des Schweizer Franken würde vielen Branchen in der Schweiz aber hohe Wettbewerbsnachteile bringen.
Welche Bedeutung hätte es für die Politik der Schweizer, wenn der Goldpreis steigt: Würde man die Währung frei geben, denn der Schweizer Franken würde fester werden, da ja dann eine Überdeckung gegeben ist?
Das Volksbegehren sieht neben der Golddeckung wohl auch ein Verkaufsverbot von Goldreserven der Zentralbank vor. Es sieht aber eine Mindestdeckung und meines Erachtens keine gesamte Deckung der Zentralbankreserven durch Gold vor. Ein steigender Goldpreis hätte deshalb keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Zentralbankpolitik. Man hätte sogar die Möglichkeit, zusätzlich Fremdwährungen anzukaufen, um einen Anstieg des Schweizer Franken zu verhindern.
Welche Bedeutung hätte es für die Politik der Schweizer, wenn der Goldpreis fällt: Würden sie ihre Euroreserve abbauen und Gold kaufen?
Sollte der Goldpreis fallen, hätte die Schweizer Zentralbank die Option, entweder mehr Gold zu kaufen oder Fremdwährungen zu verkaufen. In beiden Fällen könnte dies den Schweizer Franken unter Aufwertungsdruck bringen.
Was würden Sie Stiftungen heute raten, die fällige Anleihen in der Wiederanlage haben?
Stiftungen sind wegen ihres geringen Risikobudgets kaum in der Lage, größere Änderungen in der Asset Allokation vorzunehmen. Durch eine stärkere globale Diversifikation der Anleihen und Aktien lässt sich aber zusätzliches Risikobudget gewinnen. Dies könnte genutzt werden, um zum Beispiel höherverzinsliche Anlagen (High Yield) zu erwerben oder den Aktienanteil durch Erwerb von Aktien mit hoher Dividendenrendite zu erhöhen. Es bietet sich zudem die Möglichkeit Vermögensverwalter zu mandatieren, die über ein professionelles Risikomanagement verfügen und in der Lage sind, mit einem flexiblen Multi-Asset-Ansatz höhere Renditen mit festen Risikovorgaben zu erzielen.
Der Euro wird durch Draghis Aussage „what ever it takes“ gesichert – werden die internationalen Märkte das nochmals antesten?
Ich denke, dass die Aussage Draghis „what ever it takes“ vor allem die Kreditwürdigkeit der Euroanleihen sichern sollte und weniger den Außenwert des Euros. Dieser hat sich seitdem ja auch erheblich abgewertet. Ich könnte mir vorstellen, dass bei mangelndem Reformwillen einiger Eurostaaten (Griechenland, Italien) deren Kreditwürdigkeit von den Kapitalmärkten auch wieder kritischer eingestuft werden kann.
Sind andere Währungen außerhalb des Eurowährungsraumes bessere Alternativen?
Zurzeit ist vor allem der US-Dollar eine gute Alternative zum Euro. Das Wachstum in den USA ist deutlich höher als in Europa und die geldpolitischen Wege trennen sich. Schon jetzt bieten Anlagen in US-Dollar deutlich höhere Zinsen als Euroanleihen. Auch ausgewählte Schwellenländer-Währungen bieten aufgrund der höheren Zinsen eine gute Alternative. Die Auswahl sollte aber in jedem Fall ein professioneller Anleger vornehmen.
In welcher Region sehen Sie die größten Chancen für einen Investor für Aktien/Renten/ Immobilien?
Der Investor sollte auf eine gute Streuung über die verschiedenen Regionen achten. Ansonsten sollte die Qualität und die Ertragserwartung der einzelnen Anlagen entscheidend sein und weniger deren regionale Zugehörigkeit.
Vor dem Hintergrund, dass die Regionen kleine, wendige Schnellboote gegenüber dem trägen Tanker Europa sind: Sind die Abspaltungsbemühungen eine andere Form des Ausdrucks, dass das „Europaprojekt der Politiker“ gescheitert ist?
Die Abspaltungsbestrebungen einzelner Teilregionen empfinde ich als Rückschritt. Sie schaffen höhere Ineffizienzen bei deutlichen Einschränkungen in der Flexibilität. Europa steht im globalen Wettbewerb. In diesem Wettbewerb haben nur starke politische Einheiten eine Chance, sich zu behaupten. Eine Zersplitterung würde zu einer Marginalisierung Europas auf wirtschaftlicher und politischer Ebene führen.
Wenn man die Klagen und Strafen gegen europäische Banken anschaut, die aus den USA verhängt werden, kann man dahinter einen Wirtschaftskrieg vermuten, um Europa zu schwächen?
Die verhängten Strafen lassen oftmals den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vermissen. Sie konterkarieren damit vor allem auch das Bestreben der Politik und der Finanzindustrie durch höhere Eigenkapitalausstattung ein zukünftig stabiles Fundament zu schaffen. Oft drängt sich der Eindruck auf, dass hinter den hohen Strafen gerade seitens der USA auch ein gewisses Maß an politischem Opportunismus steckt.
Das Interview wurde 2014 geführt.